Celan-Projekt – Lait Noir Du Matin

Das Celan-Projekt „Lait Noir Du Matin“ erstreckt sich über mehrere Jahre und besteht bislang aus einem Audiostück, mehreren akustischen Gebäudeinstallationen und einer kammermusikalischen Version.

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Meine Auseinandersetzung mit dem Gedicht „Todesfuge“ von Paul Celan begann ca. 2015. Zunächst habe ich den Ursprungstext bearbeitet, fragmentiert, von menschlichen und synthetischen Stimmen einsprechen lassen, das Material in verschiedenen Graden manipuliert und abstrahiert.

Im Rahmen eines Open Calls „Sacred Language“ des niederländischen Labels „les horribles travailleurs“ entstand ein Hörstück von 21:16 min. Länge. Das vom Label zur Verfügung gestellte Ausgangsmaterial wurde bearbeitet und mit einem dafür eingespielten soundtrack  und  den Fragmenten der Todesfuge zu dem Hörstück „Lait Noir Du Matin“:

Lait Noir Du Matin“ Anja Kreysing (audio editing / Komposition, Akkordeon / Elektronik) & Helmut Buntjer (Posaune / Elektronik)

Im Anschluss wurde daraus in Kooperation mit dem Künstler Max Kuiper aus Arnhem / NL (Klanginstallation mit Soundscapes via Nahfeld-Radiosendern) an drei Orten eine live bespielte Klanginstallation (4 ständiges live-Requiem von Anja Kreysing (akk/electr.) & Helmut Buntjer (tb / electr. / Stimme)) , welche sich über komplette Gebäude erstreckte und für das Publikum komplett begeh- und erfahrbar war:

– September 2016 im Rahmen der Kunstausstellung „Code Rood“ in Hoghe Veluwe / NL in einer kompletten, aufgelassene Manschaftsunterkunft einer ehemaligen Kaserne

– Mai 2019 im Rahmen des Festivals „Lyrik2019“ in Münster im Lazarettbunker

– November 2019 im Rahmen der Ausstellung „War mein Opa Nazi“ im Mahnmahl Kilian / Flandernbunker Kiel

– Darüberhinaus entstand eine kammermusikalische Version, die im September 2019 anlässlich der „Langen Nacht“ der Gesellschaft für Neue Musik Münster uraufgeführt wurde. (links zu allen Veranstaltungen s. unten)

Ein Bericht von Gerd Kock / WN über die  Installation / Aufführung im Lazarettbunker / Münster:

https://www.wn.de/Muenster/Kultur/3784202-Todesfuge-von-Paul-Celan-im-Lazarettbunker-Schoene-Verse-schmerzende-Mahnung

Kurzdokumentarfilm von Jonas Surel aus dem Lazarettbunker / Münster:

http://anjakreysing.de/wp/blog/2016/08/26/25-6-2016-this-honourable-fish-performance-transmute24-arnhem/

http://anjakreysing.de/wp/blog/2019/04/15/poetry2019-celan-projekt-this-honourable-fish-mit-max-kuiper-17-5-2019-lazarettbunker-muenster/

http://anjakreysing.de/wp/blog/2019/11/07/celan-projekt-im-flandernbunker-kiel-9-11-2019/

http://anjakreysing.de/wp/blog/2019/09/07/lait-noir-du-matin-als-kammermusik-lange-nacht-der-gnm-muenster-28-9-2019/

Rezension des Hörstücks:

http://anjakreysing.de/wp/blog/2016/04/05/review-u-a-von-lait-noir-du-matin/

Rezension Gerd Kock:

„Todesfuge“ von Paul Celan im Lazarettbunker – Schöne Verse – schmerzende Mahnung

Bildunterschrift: „Faktisch und metaphorisch der einzige Lichtblick im Dunkel der „Todesfuge“, die jetzt im Lazarettbunker zu hören war.Helmut Buntjer und Anja Kreysing schufen einen pulsierenden Klang für die „Todesfuge“.“

Zu schön, um wahr zu sein, kann Vorwurf werden. Darf ein Gedicht schön sein, wenn es die unfassbar einzigartige Grausamkeit von Menschen behandelt? Und kann es dann noch wahr sein? Paul Celan war diesem Vorwurf ausgesetzt, hat ihn ausgehalten müssen. Der Präsentation seiner „Todesfuge“ im Lazarettbunker kann man diesen Vorwurf schwerlich machen.

Zu schön, um wahr zu sein, kann Vorwurf werden. Darf ein Gedicht schön sein, wenn es die unfassbar einzigartige Grausamkeit von Menschen behandelt? Und kann es dann noch wahr sein? Paul Celan war diesem Vorwurf ausgesetzt, hat ihn ausgehalten müssen. Der Präsentation seiner „Todesfuge“ im Lazarettbunker kann man diesen Vorwurf schwerlich machen – zu weit entfernt von rotweingeschwängerten Wohnzimmern, cellodurchwirkten Gedenksälen oder stickigen Schulklassen: Ein Bunker ist ein historisch authentischer Ort von Todesangst und Ohnmacht. Und von Krieg.

Ein passender Ort für Celans Meisterwerk, das vielen nach Adornos als Verdikt verstandene Urteil, „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“, als unpassend erschien. Anja Kreysing und Helmut Buntjer („This honourable fish“), verstärkt durch den Niederländer Max Kuiper, schufen mit ihrem „Lait Noir Du Matin“ ein elektroakustisches Environment, das mal Klang-Teppich, mal Spot war.

In den zum Fürchten dunklen Räume pulsierten Geräusche, die den teuflischen Ton der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschine aufriefen: kreischend quietschende Züge, metallisches Schaben, dumpfes Dröhnen. Als wollte das Akkordeon dieser hörbaren industriellen Tötungshölle so etwas wie Musik geben, erklangen mal marschig Akkorde, mal kleine Melodien – wie ein Verklingen von Kultur oder ein Aufhoffen.

Wer die „Todesfuge“ im Bunker erlebt hat (und es waren verblüffend viele), konnte erleben, dass Celans unversöhnliche Verse eine höchst konkret schmerzende Mahnung und kein idealisierend verklärendes Poem von Anmut und Würde sind.

Gerhard H. Kock